Was war zuerst da? Die Regeln oder die Welt?
Diese Frage stellte sich oft, wenn ich mich mit anderen Rollenspielern über das Erschaffen einer eigenen P&P-Welt unterhielt. In meinem Falle waren es erst die Regeln. Aber warum? Ich störte mich immer schnell an Regelwerken, wenn die Regeln nicht ganz die Welt widerspiegeln. Oft passiert das bei Heiltränken oder magischen Waffen. Deshalb begann ich, eigene Regeln zu entwerfen.
Dabei muss man sich klar werden, ob man eher eine Simulation haben will, also versucht so realistisch wie möglich zu sein, oder ob es einem mehr um Stimmung und Telling geht. Ich selber sehe mich da immer ein wenig zwischen den Stühlen – allerdings mit einer immer weiter entwickelnden Tendenz zum Telling. Angefangen habe ich damit, Regeln zu machen, die es mir leichter machten, meinen Charakter zu „spüren“, und da ich mehr Krieger als Magier spielte, fing ich mit dem Kampfsystem an.
Nachdem das Kampfsystem erst einmal stand, konnte ich überlegen, was das für die Welt bedeutet. Wenn zum Beispiel eine Waffe allen anderen Waffen überlegen ist, muss sich diese Waffe wohl oder übel in der Welt durchsetzen. Eng verknüpft mit dem Kampfsystem ist auch immer die Heilung, sowohl regeltechnisch als auch innerhalb der Welt. Heilt man binnen weniger Minuten, sind Krankenhäuser oder Heilergilden nicht so relevant, und auch das Wissen über eine schnelle Heilung würde die Entwicklung von bestimmten Waffengattungen und Kampfstilen beeinflussen. Ist Rüstung sehr günstig zu haben und schützt auch noch gut, wird kaum ein Kämpfer oder Abenteurer ohne schwere Rüstung herumlaufen. Benötigt es bestimmte Fähigkeiten, um überhaupt Spaß am Spiel zu haben, wird fast jeder Charakter in der Welt mit dieser Fähigkeit unterwegs sein. Hier kommt dann auch das so wichtige und schwierige Balancing zum Tragen, zu dem es einen eigenen Artikel geben wird.
Andersherum gilt das natürlich auch. Ich habe mich mit Bastlern unterhalten, die es genau andersherum machten: sie erarbeiteten im Detail eine Welt und versuchten dann, die passenden Regeln zu finden. Für mich ist es leichter, wenn ich erst eine Regel habe und von dieser auf die Welt schließen kann. Dadurch, dass ich mir viele Regeln und Systeme überlegt habe, ist es für mich leichter neue Welten um diese herum zu entwickeln. Zum Beispiel habe ich durch die Regeln der Magie in meiner Welt schon neue Ideen für eine Gesellschaft, die in einer fernen Zukunft spielen. Denn diese Regel beeinflusst die Welt deutlich. Da ich in meinen Regeln klar etabliere, dass Flammen eine Art Portal zur Geisterwelt eröffnen, müssen Feuerstellen in der Welt von MAGUN eine andere Bedeutung haben als in unserer realen Welt. Auch die technische und industrielle Entwicklung wird davon beeinflusst. Wenn man zum Beispiel sagt, dass Feuer Geister anlocken würde, wird niemand in dieser Welt wollen, dass auf einmal überall wütende Geister auftauchen, sobald man eine große Fabrik oder eine Eisengießerei gründet. Und wenn man es doch tut, braucht man womöglich Personen, die in der Lage sind solche Geisterfluten unter Kontrolle zu bringen.
Ein gutes Beispiel für diese Art der Herangehensweise ist zum Beispiel „Der Stecken der Macht“. Ein Ritual in meinem Regelwerk, das es Magis (magisch begabten Personen) erlaubt, einen Stab aus einer bestimmte Sorte von Baum anzufertigen, um effektiver Magie wirken zu können. Sinngemäß also eine Art „Zauberstab“ (der allerdings nur ein Zusatz ist, man braucht ihn nicht, um „wirken“ zu können). Dieser Stab sammelt Kraft für die magisch begabte Person, die sie dann bei einer magischen Anwendung nutzen kann. Ich habe in den Regeln etabliert, dass der Stab bis zu einem gewissen bei der Fertigung festgelegten Grad Kräfte sammeln kann und danach anfängt, die überschüssige Kraft für sich selbst zu nutzen. Er beginnt zu blühen, Blätter fangen an zu wachsen. Sobald er wieder benutzt wird, fallen diese Blüten und Blätter wieder ab, aber gesetzt den Fall, er wird nicht benutzt und wächst immer weiter, was dann? Kann dieser Stab also zu dem Baum wachsen, aus dem er einst gemacht worden ist? Trägt er auch Früchte? Er wächst also unabhängig von Wasser und Licht und sogar von Wurzeln?
Wäre dies der Fall, könnten magische Personen damit die Landwirtschaft ganz schön auf den Kopf stellen und die Welt stark beeinflussen. Wenn man diese Möglichkeiten durchgespielt hat, muss man für sich klar machen, ob man das für seine Welt will. Ich wollte es nicht, und muss daher festlegen, dass der Stab zwar Blätter und Blüten trägt und im Laufe der Jahrzehnte sogar zu einem Baum heranwachsen kann, aber nicht fruchtbar ist. So ein „magisch gewachsener Baum“ kann also schön aussehen, hat aber nur wenig praktischen Nutzen.
Nach einer Weile kam es dann zu einer gegenseitigen Beeinflussung: Regelideen führten zu Weltenumschreibungen. Neue Ideen um diese Umschreibung führten zu neuen Regelformulierungen und so weiter. Darüber hinaus gibt es allerdings viele Elemente einer Welt, die gar nicht regeltechnisch dargestellt werden. Hier geht es dann um die gesellschaftlichen Grundlagen, die auch eine bestimmte Stimmung mit sich einhergehen. Diese entstanden meistens in einer Weiterentwicklung und aus Konsequenzen von regelrelevanten Bestandteilen – oder aber auch aus Überlegungen, wie die, ein bestimmtes Volk einzigartig zu machen.